In zwei bis drei Wochen werden wir wissen, ob Putin die EU in ein Gas-Blackout stürzt oder nicht. Ab 11. Juli wird nämlich für rund zehn Tage die Pipeline Nord Stream 1 gewartet. Die führt durch die Ostsee und versorgt unter anderem Deutschland mit Gas aus Russland. Wegen der (an sich normalen) Wartungsarbeiten wird die Leitung abgedreht. Ob Putin sie wieder aufdreht, ist offen. In Deutschland simuliert die Industrie bereits Gas-Abschaltungen. Kein Gas wäre der ökonomische Super-GAU. Fällt Deutschlands Industrie, stolpert Europas Wirtschaft hinterher. Übrigens: Ohne Gas für den Produktionssektor können in unserem Alltag industriell erzeugte Produkte wie Babynahrung oder lebensnotwendige Medikamente rasch knapp werden.
Es gibt natürlich noch andere Pipelines. Die „Transgas“ etwa. Mit der wird Österreich versorgt. Weil die durch die Ukraine läuft, drosseln die Russen wie zum Spaß die Menge mitunter. Überhaupt wird man das Gefühl nicht los, dass Putin mit der EU so sein Spiel treibt. Die verhängt ein Sanktionspaket nach dem anderen, aber der Krieg geht unvermindert weiter. Immerhin: Den Flugzeugen in Russland gehen schön langsam die Ersatzteile aus dem Westen aus. Die Russen können also bald nicht mehr fliegen. Ansonsten hat Putin alles, was man für eine Diktatur halt so braucht. Lebensmittel (um Hungerrevolten zu verhindern), Rohstoffe im Überfluss sowie Waffen und Munition. Und vor allem: Geld. Ein Teil der 600 Milliarden Dollar schweren Devisenreserven ist im Westen eingefroren; aber es fließt ständig neues nach. Und verknappt Putin das Gas, steigt der Preis, und der Schatz im Kreml wird größer.
Das Hauptproblem bei all den Sanktionen ist, dass sie nicht zu Ende gedacht sind. Indien und China spelen nicht mit. Beispiel: Indien kauft wie verrückt Öl in Russland ein und verkauft den billig verarbeiteten Sprit teuer in die EU. Transportiert wird das Öl von Russland nach Indien auf Tankern von griechischen Reedereien. Die machen, wie die privaten indischen Raffinerien, das Geschäft ihres Lebens.
So wie die USA. Die haben mit China und Russland ein Ziel: die Zerschlagung der EU. Der Krieg kommt wie gerufen. Alles, was die EU schwächt, stärkt das Dollar-Business. US-Unternehmen haben ihre Flüssiggaslieferungen in die EU seit Kriegsbeginn fast verdreifacht. Auch die Briten und Norweger zählen mit ihrem Öl und Gas aus der Nordsee zu den Profiteuren. Wobei die Briten die Leitungen in die EU abdrehen werden, wenn es eng wird. So viel zum Thema Alternativen zum Russen-Gas.
Dr. Wolfgang Unterhuber, KURIER Ressortleiter Wirtschaft